Sind wir wirklich zu sauer?
Wenn man sich die medizinische und paramedizinische Literatur sowie die unzähligen Bücher auf dem Markt anschaut, die sich mit dem Thema Säure-Basen-Haushalt befassen, dann bekommt man den Eindruck, dass wir alle massiv übersäuert zu sein scheinen und dies sei die wahre Ursache für alle gesundheitlichen Probleme und chronischen Krankheiten.
Durch eine regelrechte Flut von Aussagen zu diesem Thema sowie fragwürdige Methoden, wie wir durch ständige Entsäuerung wieder gesund werden können, sind die meisten Menschen heutzutage felsenfest davon überzeugt, dass sie übersäuert sind. Sie vermeiden infolge dessen Fleisch und sonstige tierische Produkte. Manche leben sogar vegan, um dieser vermeintlichen Übersäuerung zu entkommen und die überschüssigen Säuren aus dem Körper auszuscheiden.
Die meisten Menschen sind nach vielen Versuchen, den Körper zu entsäuern, enttäuscht, weil sie danach nicht gesünder sondern kränker geworden sind. Ihre Probleme wurden mit diesen Methoden nicht weniger sondern mehr. Da ist im diesem Zusammenhang die Frage gestattet, warum ist das so und sind wir alle wirklich übersäuert wie die meisten Autoren, Ärzte und Heilpraktiker uns weismachen wollen?
Die eindeutige Antwort auf diese Frage lautet schlicht: Nein! Wir sind nicht übersäuert sondern in vielen Fällen tatsächlich zu alkalisch - und das ist der wahre Grund für viele Krankheiten und keineswegs die vermeintlich überschüssigen Säuren in unserem Körper.
Sie sind, lieber Leser, wahrscheinlich jetzt von dieser Aussage überrascht, dass Sie nicht zu viele Säure im Körper haben, sondern zu viele Basen - die landläufige Meinung suggeriert uns ja genau das Gegenteil! Ich werde nun versuchen, Ihnen einige Fakten und Zusammenhänge zu diesem Thema zu erläutern:
1. Unser Körper ist weder sauer noch alkalisch
In unserem Körper gibt es Organe und Gewebe, die sauer sein müssen (z.B. Magen, Lungen, Blase, Vagina, Urin etc.). Andere Organe sind dagegen alkalischer Natur. Dazu zählen Leber, Bauchspeicheldrüse, Blut, Spermien etc. Eine Verschiebung mancher saurer Organe in den alkalischen Bereich führt dazu, dass diese Organe nicht mehr richtig funktionieren. Bestes Beispiel dafür bietet der Magen. Wird die Magensäure aufgrund einer Verschiebung in den alkalischen Bereich geringer, kann die Verdauung und die Absorption lebenswichtiger Vitalstoffe beeinträchtigt werden.
2. Unser Körper kann Säuren abfangen und ausscheiden
Unser Körper ist in der Lage, Säuren zu binden und auszuscheiden. Jeder von uns, der Sport treibt, hat das schon einmal erlebt, dass die Muskulatur nach einem harten Training wehtut. Diese Verhärtung verschwindet in der Regel nach 2-3 Tagen, weil der Körper die durch das Training entstandene, überschüssige Milchsäure neutralisiert hat.
3. Der Körper hat Puffersysteme zur Lagerung von Säuren
Entstehen aus irgendeinem Grund zu viele Säuren im Körper und es liegen nicht so viele Basen bereit, die diese Säuren neutralisieren, dann lagert der Körper diese in den basophilen Organen (Leber, Bindegewebe etc.) ab. Das stellt in der Regel kein Problem für den Organismus dar, da diese Organe ihre Pufferungsfunktion ausüben können.
4. Stress macht uns nicht sauer sondern alkalisch!
Viele Menschen sind fest davon überzeugt, dass Stress sie sauer macht und das sei die wahre Ursache ihrer Beschwerden. Das ist freilich nicht richtig, denn Stress verursacht eine Verschiebung in den alkalischen Bereich. Bei Stress produziert der Körper das Stresshormon Cortisol. Dieses Hormon ähnelt in seiner Wirkung dem Hormon Aldosteron, das Natrium resorbiert sowie Kalium UND Säure ausscheidet. Bei Dauerstress mit exzessiver Cortisolsynthese wird zu viel Säure aus dem Körper ausgeschieden. Das Ergebnis ist eine Verschiebung in den alkalischen Bereich.
Wie Sie sehen, liebe Leser, ist es nicht per se besser für unsere Gesundheit, eine 'Verschiebung unseres Milieus in den alkalischen Bereich zu erzwingen. Es ist viel mehr wichtiger, das Gleichgewicht zu erhalten.
Können Tests eine Verschiebung im Säure-Basen-Haushalt aufdecken?
Meiner Einschätzung nach gibt es auf dem Markt keinen einzigen Test, der eine Verschiebung im Säure-Basen-Haushalt zweifelsfrei nachweisen kann. Das gilt insbesondere für die Messung des PH-Wertes des Urins oder des Speichels mehrmals am Tag. Dies ist keine zuverlässige Methode, um eine Übersäuerung nachzuweisen.
Die einzige Möglichkeit, eine zuverlässige Aussage über den Säure-Basen-Haushalt zu machen, ist die Untersuchung der Säurebelastung der basophilen Organe (z.B. Leber, Bindegewebe). Sind die Pufferungssysteme des Körpers erschöpft, dann liegt m.E.n. Eine eindeutige Übersäuerung vor.
Wie kann eine nachgewiesene Übersäuerung neutralisiert werden?
Viele Menschen greifen bei einer vermuteten oder nachgewiesenen Übersäuerung zu Hausmitteln wie z.B. KiaserNatron oder sonstigen Präparaten, die Mineralien enthalten. Nach meiner Erfahrung helfen diese Produkte nicht weiter sondern verursachen eine Magenstörung mit Folgen für die Verdauung und Resorption von wichtigen Vitalstoffen. Bei einer nachgewiesenen Übersäuerung müssen vielmehr Präparate verwendet werden, die die Säuren aus den basophilen Organen herauslösen und ausleiten.